Eine neue Studie zweifelt die Wirkung von blauem Licht auf die innere Uhr an. Doch was steckt dahinter? Worum genau geht es dabei? Das versucht dieser Beitrag zu klären!
Seit einigen Jahren lesen wir immer wieder, dass blaues Licht besonders störend für unseren Schlaf ist, weil es unsere innere Uhr beeinflusst. Deshalb raten Chronobiologen und Ärzte davon ab, abends blauhaltiges Licht wie beispielsweise aus Tablets und Smartphones zu benutzen. Eine Reihe von Untersuchungen konnte zeigen, dass die Nutzung dieser Geräte vor dem Schlafengehen das Einschlafen erschwert und sogar unsere Gehirnwellen verändern kann. Die Hersteller bieten seit einiger Zeit Nachtmodi für ihre Geräte an, die den Blauanteil verändern. Das Bild wird dadurch gelbstichig.
Eine Studie des amerikanischen Light Research Centers (LRC) hatte den Nacht Modus im iPhone getestet und festgestellt, dass die Reduktion des Blaugehaltes durchaus positive Auswirkungen auf den Schlaf hatte, aber erst dann wirklich etwas nutzte, wenn auch die Helligkeit reduziert wurde. Nun macht eine neue Studie der University of Manchester die Runde. Glaubt man den Medien, hat das Team um Joshua Mouland und Timothy Brown herausgefunden, dass blaues Licht gar keinen so großen Einfluss auf die circadianen Reaktionen unseres Körpers hat wie bisher angenommen. Doch was genau wurde eigentlich untersucht und was ist wirklich dabei herausgekommen?
Zum kurzen Verständnis: Alle Lebewesen besitzen eine innere Uhr, die einen eigenen, endogenen Rhythmus von etwa 24 Stunden hat. Dieser sogenannte circadiane Rhythmus wird täglich durch Licht mit der Umwelt synchronisiert. Eine Vielzahl von biochemischen, physiologischen und verhaltensbiologischen Untersuchungen kam zu dem Ergebnis, dass blaues Licht besonders wichtig für diesen Vorgang ist. In unserer Netzhaut sitzen besondere Rezeptorzellen, die ipRGCs, die dem Gehirn mitteilen, ob blaues Licht vorhanden ist oder nicht. Sie nutzen dafür das Pigment Melanopsin, das besonders stark auf blaues Licht, aber kaum auf gelbes Licht reagiert. Ohne blaues Licht wird das Hormon Melatonin freigesetzt, das den Tagesrhythmus fast aller Körperfunktionen steuert.
Spielen auch die Stäbchen und Zapfen eine Rolle?
Blaues Licht kann nicht alle Vorgänge der Synchronisation zwischen innerer Uhr und äußerer Tageszeit erklären. Und so wird unter anderem untersucht, ob auch die Stäbchen und Zapfen eine Rolle spielen. Die Forscher um Joshua Mouland und Timothy Brown an der University of Manchester veröffentlichten im Dezember eine Studie in Current Biology, in der sie untersuchten, ob blaues Licht über die Zapfen einen stärkeren Einfluss auf das circadiane System hat als gelbes.
Die Studie war gut aufgebaut und brachte einige interessante Ergebnisse. Die Ausgangsidee war, dass die Abenddämmerung einen hohen Blauanteil hat. Blaues Licht wäre also ein Signal für den Beginn der Nacht. Gelbes Licht, so die Wissenschaftler, ist vor allem tagsüber vorhanden.
In den Medien klingt es nun, als hätten die Wissenschaftler bewiesen, dass blaues Licht gar nicht so störend für unseren Schlaf sei wie bisher angenommen. Wer Erfahrung mit blauem Licht hat und die diversen vorhergehenden Studien kennt, wurde sofort misstrauisch – und zwar aus gutem Grund. Denn in der Studie aus Manchester wurde der menschliche Schlaf gar nicht untersucht. Schauen wir uns einmal an, was die Wissenschaftler eigentlich untersucht und herausgefunden haben.
Was wurde untersucht und wie?
Mouland und Kollegen untersuchten Mäuse, die sie zuerst unter Dauerlicht hielten, wie es bei solchen Experimenten üblich ist. Für jeweils zwei Wochen bekamen die Tiere monochromatisch blaues und gelbes Licht. Dabei zeigte sich, dass die endogene Tageslänge der Mäuse unter gelbem Licht signifikant länger wurde als unter blauem Licht. Die Wissenschaftler nehmen dies als Hinweis, dass die Zapfen, mit denen unser Auge Farben sieht, an der Steuerung der inneren Uhr beteiligt sind und gelbes Licht einen stärkeren Einfluss hat als blaues.
Sie erhöhten dann die Helligkeit beider Lichtfarben und stellten fest, dass der Einfluss des Lichts mit der Erregung der Zapfen stieg. Dabei konnte kein signifikanter Unterschied zwischen blauem und gelbem Licht festgestellt werden. Bei beiden Lichtfarben kommt es also auf die Helligkeit an.
Nun wollten die Wissenschaftler wissen, welche Lichtfarbe besser geeignet ist, um den Körper mit dem Sonnentag zu synchronisieren. Dazu wurden Mäuse in einem Tag-Nacht-Rhythmus gehalten, der dann, wie bei einem Interkontinentalflug, um sechs Stunden nach vorne geschoben wurde. Die Anpassung der Tiere an diesen „Jet-lag“ erfolgte schneller bei gelbem Licht.
Nun ist es ein großes Problem heutiger Menschen, dass wir nur geringe Änderungen in der Lichtintensität erleben. Unter natürlichen Bedingungen erleben wir 1000 bis mehr als 100.000 Lux am Tag gegenüber maximal 0,3 Lux bei Nacht. In Büros werden oftmals nur 500 Lux erreicht, während eine typische Wohnzimmerbeleuchtung etwa 50 Lux hat. Daher wollten die Wissenschaftler wissen, ob Änderungen in der Farbzusammensetzung der inneren Uhr helfen, sich mit dem Sonnentag zu synchronisieren.
In der Tat blieben die Mäuse, bei denen sich die Lichtfarbe, aber nicht die Intensität änderte, mit dem künstlichen 24-Stundentag synchronisiert. Änderten sich Lichtfarbe und Intensität, war das Tag-Nacht-Muster zudem deutlicher als wenn sich nur die Intensität änderte. Veränderungen der Lichtfarbe können also einem Organismus helfen, den Wechsel zwischen Tag und Nacht zu erkennen. Da das Licht in der Dämmerung einen höheren Blauanteil hat als am Tag nehmen die Wissenschaftler an, dass es dabei eine große Rolle spielt.
Was sagt die Studie denn nun aus?
Aus ihren Ergebnissen schließen die Wissenschaftler, dass gelbes Licht bei Säugern einschließlich dem Menschen einen stärkeren Einfluss hat als blaues Licht – in Bezug auf die Zapfen, nicht grundsätzlich. Die Rolle des blauen Lichts über die ipRGCs wird in dieser Studie weder angezweifelt noch untersucht. Stattdessen wurde dieser Effekt gewissermaßen ausgeschaltet, und zwar folgendermaßen: Um den vielfach stärkeren Einfluss des blauen Lichts auf das circadiane System auszugleichen, war das verwendete gelbe Licht entsprechend heller und zwar so sehr, dass die sogenannte melanopische Beleuchtungsstärke, also die Wirkung auf die ipRGCs bei beiden Lichtfarben gleichstark war. Untersucht wurde eine zusätzliche Wahrnehmung des Organismus, der die circadiane Synchronisation der ipRGCs unterstützt, nicht aufhebt. Für die visuelle Wahrnehmung der Mäuse war das gelbe Licht damit aber auch deutlich stärker.
Ein weiterer Punkt, warum Vorsicht geboten ist, sind die Mäuse. Mäuse sind nachtaktiv, die Abenddämmerung ist für sie also das Signal, aktiv zu werden, während der menschliche Körper mit seinen Nachtvorbereitungen beginnt. Mäuse reagieren grundsätzlich empfindlicher auf Licht als Menschen und vermeiden meist, bei Licht aktiv zu sein. Zudem können Mäuse im Gegensatz zu Menschen UV-Licht sehen, haben also eine deutlich andere Sehfähigkeit als Menschen. Untersuchungen zur Reaktion von Mäusen auf Licht lassen sich daher nur eingeschränkt auf den Menschen übertragen. Dies sprechen auch die Autoren der Studie an: Menschen reagieren deutlich schwächer auf gelbes Licht mit der gleichen melanopischen Beleuchtungsstärke wie blaues Licht.
Im Klartext macht die Studie also keinerlei Aussagen darüber, ob blaues Licht den menschlichen Schlaf stört oder nicht. Was sie sagt – und das ist sehr spannend – ist, dass wir im Tageslauf sowohl Veränderungen der Helligkeit wie auch der Farbzusammensetzung erleben. Blaues Licht in der Dämmerung kann nach dieser Studie dem Körper helfen, den Einbruch der Nacht zu erkennen – bei Mäusen. Welchen Einfluss blaues Licht in der Nacht hat, wurde allerdings überhaupt nicht untersucht. Die Studie ist daher kein Beweis dafür, dass blaues Licht spät am Abend oder bei Nacht harmlos sei.
In der Realität würden wir Licht mit einem breiten Spektrum über den Tag hinweg erleben. In der Dämmerung steigt dann der Blauanteil kurz an („blaue Stunde“), um nachts stark abzusinken. Genaugenommen hätten wir nachts fast kein Licht, egal welcher Farbe. Für den Alltag bringt die Studie von Mouland et al. daher folgende Ansätze: Wir brauchen viel natürliches Licht und wir brauchen natürliche Veränderungen der Farbzusammensetzung. Abends müssen wir helles Licht vermeiden, selbst wenn es gelb ist. Das deckt sich auch mit den Erkenntnissen des LRCs über den Nachtmodus des iPhones. Mouland et al. befürchten, dass ein Nachtmodus, der zwar den Blauanteil reduziert, dafür aber die Helligkeit erhöht, zwei circadiane Messsysteme gegeneinander ausspielt und am Ende möglicherweise sogar noch schädlicher ist. Dies gibt aber keine Entwarnung für helles, blauhaltiges Licht, dass sich in vielen Studien als stärker wirksam für das circadiane System erwiesen hat.
Mouland et al. sind übrigens nicht die einzigen, die sich mit der Rolle der Zapfen bei der circadianen Synchronisation beschäftigt haben. In derselben Ausgabe von Current Biology findet sich eine Studie von Manuel Spitschan und Kollegen, die keinen Anteil der Zapfen an der Regulation von Melatonin gefunden haben, also die Ergebnisse von Mouland und Kollegen nicht bestätigen können. Ihr Versuchsobjekt waren Menschen.
Kein Freifahrtschein für blaues Licht!
Bei den momentanen Reaktionen auf die Studie von Mouland und Kollegen ist zu befürchten, dass einige Beleuchtungshersteller und Städte nun alle Warnungen bezüglich blauhaltiger Außenbeleuchtung als widerlegt sehen. Dazu besteht aber kein Grund. Eine umfangreiche Zusammenfassung vieler ökologischer Studien von Travis Longcore und seinem Team zeigt, dass der negative Einfluss auf Tiere und Pflanzen mit dem Blauanteil steigt. Hier geht es nicht nur um die innere Uhr, sondern auch um Blendung, Orientierung und Verwechslung mit Mondlicht. Die Studie bietet also keinen Freifahrschein für blauhaltige Außenbeleuchtung. Sie zeigt uns indessen, dass der biologische Einfluss von Licht deutlich komplexer ist, als wir es uns wünschen und wir extrem vorsichtig sein sollten, künstliches Licht einzusetzen – besonders in der Nacht.
Autorin: Diplom Biologin Dr. Annette Krop-Benesch
Mehr Artikel von ihr finden Sie hier in ihrem ► BLOG
Wir empfehlen auch ihr Buch ► Licht aus!? Lichtverschmutzung: Die unterschätze Gefahr von Annette Krop-Benesch
Quellen
- Longcore et al. 2018. Rapid assessment of lamp spectrum to quantify ecological effects of light at night. ournal of Experimental Zoology Part A: Ecological and Integrative Physiology 329(8-9):511-521.
- Mouland et al. 2019. Cones Support Alignment to an Inconsistent World by Suppressing Mouse Circadian Responses to the Blue Colors Associated with Twilight. Current Biology 29(24):4260-4267.
- Spitschan et al. 2019. No evidence for an S cone contribution to the human circadian response to light. Current Biology 29(24):R1269-1300