Insekten machen mehr als die Hälfte aller Tierarten aus. Die meisten von ihnen sind nachtaktiv. Wir konfrontieren sie durch eine immer größer und zugleich auch noch heller werdende Menge an nächtlichen Kunstlichtquellen. Wie Staubsauger werden sie aus der Natur in Richtung dieser Lichtquellen abgezogen. Durch Dauerumschwirren sterben die meisten den Erschöpfungstod oder werden von Fressfeinden als leichte Beute an und um Lampen herum verspeist. Sie fehlen dem Ökosystem: Zur Aufrechterhaltung des Bestandes. Als Nahrungsquelle für andere Tiere. Als Verwerter organischer Substanzen. Als Bestäuber von Pflanzen. Mehrere hundert Milliarden Insekten kommen entsprechenden Studien zufolge pro Jahr an unseren Lichtern in Städten, Dörfern und Industriegebieten um.
Um sagenhafte knapp 80 Prozent ist die Biomasse fliegender Insekten in den vergangenen 30 Jahren geschrumpft. Neben Monokultur, Düngung, Pestizideinsatz und Verlust der Strukturvielfalt von Lebensräumen ist die Lichtverschmutzung ein weiterer wesentlicher Faktor dieser dramatischen Entwicklung. Das Schwinden der Insekten bedroht uns Menschen in unserer Existenz. Maßnahmen dagegen gab es bisher nur sehr wenige. Zu unbekannt ist das Thema Lichtverschmutzung. Und auch die daraus resultierenden Negativwirkungen. Doch erfreulicherweise tut sich langsam immer mehr …
Das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ der Bundesregierung
Anfang September 2019 hat das Bundeskabinett auf Vorschlag der Bundesumweltministerin das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ zum Schutz von Insekten und ihrer Artenvielfalt beschlossen. Mit diesem Aktionsprogramm liegt nun erstmals ein konkretes Maßnahmenpaket mit geplanten Unternehmungen seitens der Bundesregierung vor. In Stadt und Land sollen Schutzgebiete gestärkt und auch wiederhergestellt sowie besonders wichtige Lebensräume besser geschützt und bestehender gesetzlicher Schutz deutlich erweitert werden. Für die Förderung von Insekten-Schutzmaßnahmen innerhalb und außerhalb der Agrarlandschaft sollen vom Bund zusätzliche 100 Millionen pro Jahr Euro bereitgestellt werden. So unter anderem auch speziell für die Insektenforschung und eines bundesweiten Insektenmonitoring.
Noch in dieser Legislaturperiode soll ein Insektenschutzgesetzt nebst diversen Rechtsverordnungen verbindlich vorgegeben werden, so das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) laut einer Presseerklärung Anfang September 2019. Ebenso soll das Engagement für Insekten in der gesamten Bevölkerung mit diesem Aktionsprogramm unterstützt werden. Bezüglich der Umsetzung des Programms wird die Bundesregierung regelmäßig Rechenschaft ablegen, so die Presseerklärung weiter.
Mit verankert:
Die Eindämmung der Lichtverschmutzung
Das beschlossene Programm soll dazu beitragen, die Lichtverschmutzung zu reduzieren und eine Umstellung auf insektenfreundliche Beleuchtung zu erwirken. Ziel soll eine Verringerung von Lichtimmissionen durch Beleuchtungsanlagen sein (wie öffentliche Straßen- und Wegebeleuchtung), aber unter anderem auch von Beleuchtungen öffentlicher Gebäude, die eigentlich keinen essentiellen Nutzen für die Menschen haben.
Unter dem „Handlungsbereich 6“ des Aktionsprogrammes werden konkret diese fünf Maßnahmen genannt (Originalwortlaut):
Punkt 1:
Der Bund wird bis 2021 gesetzliche Regelungen zur weiteren Eindämmung von Lichtverschmutzung und ihrer schädlichen Auswirkungen auf Insekten vorbereiten
Beschreibung: Potenziale zur Vermeidung von Lichtverschmutzung und der Minderung der Anlockwirkung auf Insekten gibt es hinsichtlich Wellenlänge, Farbtemperatur, Lichtintensität, Strahlungsrichtung, intelligenter Steuerung und Beleuchtungsdauer. Es sollen Anforderungen an die Ausgestaltung und den Betrieb künstlicher Lichtquellen vorbereitet werden, die besondere Bedeutung für den Insektenschutz haben, z.B. für die öffentliche Straßen- und Wegebeleuchtung und die Beleuchtung öffentlicher Gebäude. Ziel ist dabei die Reduktion der Anlockwirkung von Lichtanlagen auf Insekten unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Anforderungen der (Verkehrs-)Sicherheit. Darüber hinaus sollen die Herstellung, der Besitz, das Inverkehrbringen und die Verwendung von unspezifischen Insekten-Lichtfallen (sogenannten „Insektenvernichter-Lampen“) über das Naturschutzrecht verboten werden.
Punkt 2:
Der Bund wird seine Förderprogramme im Hinblick auf negative Effekte auf Insekten durch Beleuchtung überprüfen und ggf. weiterentwickeln
Dazu gehört:
- Berücksichtigung neu zu entwickelnder technischer Anforderungen und Kriterien für eine insektenfreundliche Beleuchtung bei der Förderung von Beleuchtungslösungen im kommunalen Raum
Beschreibung: Welche Beleuchtungslösungen im öffentlichen und privaten Raum gewählt werden, wird durch eine Vielzahl von Vorgaben bestimmt. Dazu zählen rechtliche Vorgaben wie auch Förderanreize. Förderprogramme für Beleuchtungslösungen im kommunalen Raum sollten so ausgestaltet sein, dass Klimaschutz und Arten- bzw. Insektenschutz Hand in Hand gehen. Seit Beginn des Jahres 2019 werden über die Kommunalrichtlinie im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative bereits nur noch Beleuchtungsanlagen gefördert, die über eine zeit-, präsenz- oder witterungsabhängige Regelungs- und Steuerungstechnik verfügen. So werden Beleuchtungsdauer und -intensität weiter reduziert. Beim Einsatz von LED-Technologie kann der Insektenschutz durch zusätzliche technische Anforderungen für eine insektenfreundliche Beleuchtung (wie z.B. zur Farbtemperatur oder Wellenlänge) gestärkt werden. Dies soll künftig stärker in Förderprogrammen wie der Kommunalrichtlinie verankert werden.
Punkt 3:
Der Bund wird produktbezogene Regelungen treffen, um die Entwicklung insektenfreundlicher Leuchtmittel zu begünstigen
Dazu gehört:
- Berücksichtigung von technischen Anforderungen und Kriterien für den Insektenschutz bei den produktgruppenspezifischen Ökodesign-Anforderungen an Beleuchtung auf der Basis der EU-Ökodesignrichtlinie
- Integration des Insektenschutzes in die Vergabekriterien für den „Blauen Engel“ bei Leuchtmitteln
- Einsatz des Bundes für eine Überprüfung und Überarbeitung des einschlägigen Regelwerkes (z.B. EN-/ DIN 13201, 12464-2, 12193) für alle Beleuchtungsarten im Außenbereich nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik im Hinblick auf die Vermeidung von nachteiligen Auswirkungen auf Insekten
Beschreibung: Maßnahmen zur Eindämmung der Anlockwirkung von Licht auf Insekten können auch direkt beim Produkt ansetzen. Mit den genannten Maßnahmen soll zur Entwicklung und weiteren Verbreitung von Leuchtmitteln beigetragen werden, die keine oder zumindest eine deutlich geringere Anlockwirkung auf Insekten ausüben.
Punkt 4:
Der Bund wird bei der Eindämmung der Lichtverschmutzung im Sinne des Insektenschutzes eine Vorbildfunktion einnehmen
Dazu gehört:
- Integration des Aspekts „Verringerung der Lichtemissionen“ bei der Bewirtschaftung der Außenanlagen von zivilen Dienstliegenschaften des Bundes bis 2020 (darunter Auswahl des Lampentyps sowie Verwendung von Leuchtmitteln mit geringer Lockwirkung für Insekten)
- Erarbeitung eines Leitfadens zur Verringerung von Lichtverschmutzung bei Bundesliegenschaften (z.B. Bundesbauten, Bundesverkehrswege einschl. Raststätten)
Beschreibung: Bundesliegenschaften haben eine Vorbildfunktion, wenn es darum geht, Lichtverschmutzung zu vermeiden und auf insektenverträgliche Beleuchtungslösungen umzustellen. Deshalb wird der Bund mit gutem Vorbild vorangehen und Instrumente schaffen, um Lichtverschmutzung insgesamt zu vermeiden und die Anlockwirkung von
Beleuchtungsanlagen auf Insekten auf den Bundesliegenschaften soweit wie möglich reduzieren, u.a. durch Integra-tion dieser Aspekte in die Umweltmanagementstrukturen LUMAS.
Punkt 5:
Der Bund wird bis 2020 Empfehlungen für Länder, Kommunen, Schutzgebietsverwaltungen, Planer, Unternehmen und Private erarbeiten und diese so bei der Umstellung auf insektenfreundliche Beleuchtungslösungen unterstützen
Dazu gehört:
- Erarbeitung von technologieoffenen Empfehlungen und Leitfäden für insektenfreundliche Beleuchtungslösungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Lichttechnologien für Länder im Hinblick auf deren Einführungserlasse und Arbeitshilfen
- Erarbeitung von Empfehlungen und Leitfäden für insektenfreundliche Beleuchtungslösungen für Kommunen, insbesondere zur Unterstützung einer verstärkten Berücksichtigung der Beeinträchtigung von Insekten durch Lichtimmissionen im Bauplanungsrecht
- Entwicklung und Verbreitung von Handlungsempfehlungen zur Reduzierung der Lichtverschmutzung innerhalb von Schutzgebieten (nach BNatSchG)
- Bereitstellung von Informations- und Anleitungsmaterial für Planerinnen und Planer, insbesondere im kommunalen Bereich, für Unternehmen sowie den privaten Bereich (z.B. für Sportstätten, Gartenbesitzer)
- Durchführung von Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung gegen Lichtver-schmutzung mit relevanten Akteuren
Eine reale Chance für bundesweite Lichtverschmutzungs-Gesetze
Laut Auskunft des Bundesumweltministeriums an uns, wird derzeit geprüft, welche konkreten gesetzlichen Regelungen zur weiteren Reduzierung der Lichtverschmutzung und ihrer schädlichen (Umwelt-)Auswirkungen auf Insekten getroffen werden können.
Darüber hinaus teilte man uns mit: „Weitere Maßnahmen umfassen z.B. die Erarbeitung produktbezogener Regelungen und technischer Anforderungen für insektenfreundliche Beleuchtungen durch Überprüfung und Überarbeitung einschlägiger Regelwerke – wie etwa die DIN 13201“.
Derzeit ist in der DIN 13201, die nahezu immer als Grundlage für die Dimensionierung von Straßenbeleuchtung herangezogen wird, ein viel zu hohes Beleuchtungsniveau verankert. Der Deutsche Städtetag beklagt dies seit vielen Jahren. Das Aktionsprogramm Insektenschutz würde hier endlich zu einer längst überfälligen Überarbeitung der DIN 13201 sorgen. Denn der Fokus bei der Straßenbeleuchtung ist nahezu einzig auf Energieeffizienz gerichtet und nicht auch auf die dringend notwendige Umweltverträglichkeit von Straßenbeleuchtung. Die LED ließe beides in Einklang bringen. Doch nur Gesetze können das nachhaltig ändern. Davon sind wir überzeugt.
Käme das wirklich (alles) so, wäre das ein riesiger Schritt! – Sicherlich für viele aber auch ein riesiger Einschnitt in die Freiheit, bislang beleuchten zu können, wie und wie hell man wollte. Bei ausreichendem Bewusstsein ist der Verzicht auf die bislang völlig nutzlos verschwendeten Lichtanteilen definitiv kein Verlust. Anders sieht es natürlich bei der darüber hinaus notwendigen Reduzierung der restlichen Lichtanteile aus. Das bedeutet ganz klar Verzicht. Aber zugunsten der Natur und letztlich zugunsten von uns Menschen. Wir müssen einfach ein anderes Bewusstsein für Außenlicht bekommen. Nur weil etwas schön ausschaut oer schon „immer“ so war sind keine guten Argumente …
Wir begrüßen jedenfalls alle diese geplanten Maßnahmen der Bundesregierung und hoffen auf baldige Umsetzung. Nicht nur der Insekten wegen, sondern auch der vielen anderen Lebewesen, die unter dem zu intensiven und immer noch ausufernden Dauerlichtbeschuss leiden.
Aktionsprogramm Insektenschutz“ (PDF)
Hier die Originalbroschüre der Bundesregierung
Autor dieses BLOG-Beitrags:
Dipl.-Ing. Manuel Philipp (Teammitglied paten-der-nacht.de)